Die ersten Monate des Jahres hatten es in sich. So viel Tod und Krankheit im (wenn auch zum Glück nicht nahen) Umfeld. Als sich dann ein weiterer, plötzlicher und unerwarteter Tod dazu gesellte, fehlte mir jegliche Muse, mein begonnenes Buch – einen Krimi – weiterzulesen. Tod und Elend hatte ich gerade schon genug im realen Leben. Doch ich wollte lesen. Mich ablenken. Und zum Glück hatte ich aus einer Laune heraus vor einigen Wochen das Buch Der Buchspazierer von Carsten Henn aus der Bib mitgenommen. All die Wochen, die ich das Buch zuhause hatte, war ich mir gar nicht mehr so recht sicher, was ich damit wollte. Nicht mein Genre, eigentlich. Aber als dann dieser unsägliche Tag kam, an dem mir wirklich alles zuviel wurde, kam das Buch wie gerufen. Ein Wohlfühlroman, der mich trotz miserabler Laune hat lächeln lassen.
AUTOR Carsten Henn
VERLAG Pendo
ERSCHIENEN 2020
SEITEN 224
PREIS 15 € (gebundenes Buch)
GENRE Gegenwartsliteratur
REIHE –
ISBN 3866124775
Das passiert…
Carl, ein Mann in den 70ern, ist leidenschaftlicher Buchhändler. Für die Buchhandlung, die der Familie seines Freundes gehört, spaziert er jeden Abend die von seinen Kunden bestellten Bücher von der Buchhandlung zu ihnen nach Hause. Und hinter jeder Haustür lauert eine Geschichte. So wie hinter Buchdeckeln. Doch als Carls Freund ins Heim muss und dessen Tochter den Buchladen übernimmt, wird Carl immer mehr in die Ecke gedrängt. Sein Leben ändert sich zunehmend und der alte Mann droht, seine Lebensfreude zu verlieren. Aber dann kreuzt ein 9-jähriges Mädchen bei einem seiner Spaziergänge auf und lehrt Carl, die Welt mit anderen Augen zu sehen.
Kurzmeinung
Carls Geschichte ist eine leise, sanfte. Ein alter Mann, der für die Welt der Bücher lebt und sie zu seinen Kunden nach Hause bringt. Jedoch nicht, ehe er sie liebevoll in Papier eingeschlagen hat. Er lebt ein ruhiges Leben. Er kennt seine Stadt in und auswendig. Seinen Kunden gibt er Namen aus Büchern, nämlich jener Figuren, an die sie ihn erinnern. So gibt es Effi, die in einer unglücklichen Ehe festhängt. Oder den wohlhabenden Darcy, der sich in seiner Villa verkriecht. Oder Herkules, einen starken Mann, der sich von Carl von all den Klassikern erzählen lässt.
All diesen Figuren ist gemein, dass ihr Leben unerfüllt ist und sie diese Lücke durch das Eintauchen in Geschichten zu füllen versuchen.
Der Buchspazierer ist eine interessante Komposition, in deren Rahmen nicht nur die Geschichte von Carl erzählt wird, wie dieser dank Schascha – einem 9-jährigen Mädchen – seinen Lebensmut wiederfindet. Es sind auch die Geschichten von Effi, Frau Langstrumpf, Darcy und Herkules, die erzählt werden und durch Carl miteinander verwoben werden.
Die Figuren und die Geschichte(n) sind großartig. Man gewinnt sie rasch lieb und fühlt sich, als würde man selbst Carl bei seinen Buchspaziergängen begleiten und kurze Blicke in die Schicksale dieser Figuren erhaschen. Auch der Erzählstil Henns ist großartig. Das Buch war an keiner Stelle langatmig. Trotz der Sanftheit der Geschichte war die Neugier, wie es denn weiter geht, auf jeder Seite greifbar.
Das Buch kommt ohne Hektik aus. Es ist auf seine ganz eigene, leise Art herzlich und wohltuend und so spannend, dass man es kaum aus der Hand legen kann. Dieses Buch zaubert ein Lächeln auf das Gesicht der Leser und macht Mut. Mit einem Wort: dieses Buch ist wirklich zauberhaft.