Das Buch „Text“ von Dmitry Glukhovsky habe ich bereits vor einier Zeit gelesen, ja zum Ende hin beinahe in mich aufgesogen. Aufgrund der Blog-Flaute habe ich es aber leider noch nicht geschafft, meine Meinung zu diesem enorm spannenden, rauen Krimi, der im politischen Herzen Russlands – Moskau – spielt, aufs Papier zu bringen. Bis jetzt.
AUTOR Dmitry Glukhovsky
VERLAG Europa Verlag
ERSCHIENEN 2018
SEITEN 368
Übersetzer Franziska Zwerg
PREIS 19,90 € (gebunden), 9,99 € (TB)
GENRE Krimi, Gegenwartsliteratur
REIHE /
ISBN 978-3958901971
LESEZEIT 8h 47min
Text – Darum geht es
Sieben lange Jahre hat Ilja in einem Straflager zugebracht – zu Unrecht verurteilt. Als er endlich in sein Leben zurückkehren kann, findet er jedoch nur noch einen Scherbenhaufen vor: seine geliebte Mutter starb wenige Tage vor seiner Rückkehr, seine Freundin hat nicht auf ihn gewartet und sein Umfeld reagiert skeptisch. Ilja versinkt in Trauer, Wut und Verzweiflung und gibt sich dem Alkohol hin, bis er im Vollrausch jenen Ermittler aufsucht, der ihn hinter Gitter brachte. Ilja tötet Petja, den Polizisten, im Streit und nimmt dessen Telefon an sich. Es beginnt eine spannende Scharade, denn Ilja beginnt, mit Petjas Familie und dessen Freundin zu schreiben. Immer mehr „wühlt“ sich Ilja in die Gedanken, Nachrichten und das Leben Petjas, bis die Identität jener beiden jungen Männer zu verschwimmen beginnt.
Meine Meinung
Die Atmosphäre, in der Text spielt, ist düster, rau und dreckig. Wir haben es hier nicht mit dem schillernden Moskau zu tun, das man vielleicht kennt. Nicht mit den wunderschönen Bauten, dem imposanten Kreml. Wir haben es mit einer Plattenbausiedlung zu tun, dreckigen Gassen und den öffentlichen Verkehrsmitteln mit all ihrem Gedränge und dem Dicht an Dicht mit Fremden. Und mit den Figuren sieht es nicht sonderlich anders aus. Ilja ist nicht unbedingt der schillernde Romanheld oder der verkannte, tragische Antiheld. Er ist ein junger Mann, der in seinem Fehler begangen hat und dem Unrecht getan wurde. Der sich in diesem Kummer verliert und einen noch viel größeren Fehler begeht. Und Petja? Er ist hassenswert, irgendwo. Denn er ist ein Arsch. Aber er ist eben auch ein Sohn, ein Freund, ein werdender Vater. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen in Text mehr denn je. Genauso, wie die Leben der Protagonisten. Die Nebenfiguren spielen in Text wirklich nur eine sehr geringe Rolle. Selbst die Freundin Petjas, mit der Ilja zeitweise im regen Kontakt steht, wird kaum greifbar. Aber das ist auch nicht schlimm, denn der Fokus liegt ganz eindeutig auf dem Spiel der zwei Identitäten: Ilja und Petja. Der Fokus auf eine der Nebenfiguren wäre daher nur all zu lästig.
Was Sprache und Erzählstil angeht, so muss man zunächst feststellen, dass es sich um eine schöne Übersetzung handelt. Sie liest sich herrlich und ich finde, dass von der „typisch“ herben russischen Erzählweise wenig bis nichts verloren geht. Wer russische Schriftsteller und deren Art zu Erzählen kennt, weiß, dass da meist ein ganz eigener, uns oft fremder Ton mitschwingt. Den transportiert Zwerg wunderbar ins Deutsche. Insgesamt liest sich Text sehr gut und auch kurzweilig.
Das ist natürlich auch der Geschichte selbst und dem Spannungsbogen geschuldet, der jedoch in der Mitte des Buches ein bisschen Schwäche aufweist. Ich hatte tatsächlich während des Lesens doch hier und da Längen, wo ich dann auch nur sehr langsam weiterlas und lieber das ein oder andere Buch zwischenschob. Das fulminante und rasante Ende, wo ich das Buch dann wieder nicht aus der Hand legen konnte, glich das aber aus.
Die Idee, die Text zugrunde liegt, ist so spannend wie gut umgesetzt. Zwei Menschen, die beide Unrecht getan haben, beide Fehler getan haben und deren Schicksale sich irgenndwann einmal gekreuzt haben. Und diese Begegnung soll das Leben beider junger Männer für immer verändern. Ilja, der seine Freiheit und Petja, der sein Leben verliert. Auf den ersten Blick sind die beiden grundverschieden. Doch durch dieses Spiel mit dem Smartphone, das „Aneignen“ der anderen Identität verschwimmen Petja und Ilja – beide sowohl Henker als auch Opfer – miteinander. In die Rahmenhandlung eines Krimins eingebettet, entsteht so ein unfassbar interessanter Roman der sich mit der Persönlichkeit des eigenen Ich auseinander setzt.