Fremdsprachen haben mir immer schon großen Spaß bereitet. Dennoch gehöre ich trotz aller guten Vorsätze nicht zu jenen, die Romane im Original – etwa auf Englisch – lesen. Früher habe ich darüber kaum nachgedacht. Mittlerweile rückt jedoch die Übersetzungsproblematik auch und vor allem durch mein Studium der Slawistik immr mehr in mein Bewusstsein. Während dem Schreiben von Rezensionen übersetzter Bücher stelle ich mir z.B. die Frage, kann ich denn den Schreibstil eines Autors wirklich beurteilen? Oder beurteile ich nicht vielmehr das was der Übersetzer daraus gemacht hat? Wie frei hat der Übersetzer gearbeitet? Sind durch die Übersetzung vielleicht sprachliche Schätze verloren gegangen oder hat der Übersetzer das Werk gar aufgewertet?
Wirklich bewusst habe ich das erste Mal über die Problematik nachgedacht, als ich in einer Vorlesung zu russischer Literatur saß. Wir lasen stets zunächst das russische Original und danach die Übersetzung. In der deutschen Übersetzung zogen Wolkenschäfchen über den Himmel. Im russischen Original? Keine Schafe weit und breit. Was also, wenn ich als Rezensent dieses Bild des Wolkenschafs – Schafe gehören zu meinen Lieblingstieren, so abwegig ist das also nicht – so toll gefunden hätte, dass ich innerhalb der Rezension nun also den Schreibstil des Autors dafür gelobt hätte? Problematisch, genau.

Das Übersetzen ist eine Kunst an und für sich. Es gibt verschiedene Ansätze, die zu erwähnen und zu erklären hier gar kein Platz ist und was vermutlich auch weniger von Interesse ist. Wichtig ist zu wissen: es gibt sie. Unterschiedliche Ansätze wiederum bedeuten aber auch, dass Übersetzer unterschiedlich an Originale herangehen können und dabei unterschiedliche Produkte entstehen.
Schuld und Sühne? Oder doch eher Verbrechen und Strafe?

Nehmen wir z.B. ein Werk Dostoevskijs. Vermutlich hat jeder von uns schon einmal von „Schuld und Sühne“ gehört. Laut Wikipedia – sehr tolle Quelle, ich weiß – gibt es 21 Übersetzungen ins Deutsche. In früheren Übersetzungen hieß das Werk Raskolnikow nach dem Protagonisten des Romans. 1988 wurde es dann mit dem Titel Raskolnikow’s Schuld und Sühne übersetzt. Und wenig später blieb dann nur Schuld und Sühne. Soweit so gut. Seit 1994 hingegen – die aktuellste Übersetzung – spricht man von Verbrechen und Strafe. An diesem Punkt fragt man sich nun natürlich spätestens: „Ja, wie heißt es denn nun eigentlich?“
Im russischen Original wird der Roman wiefolgt betitelt: Преступление и наказание (Prestuplenije i nakasanije). Prestuplenije hat eine Vielzahl an möglichen Übersetzungen, laut Wörterbuch gehört Schuld nicht dazu. Angegeben werden z.B. Straftat, Verbrechen oder Vergehen. Das i bedeutet lediglich und. Also kommen wir zu nakasanije. Nakasanije wiederum wird mit Bestrafung, Ahndung, Maßregelung oder gar Züchtigung übersetzt.
Gehen wir das ganze einmal andersherum an: Was hieße denn Schuld und Sühne auf Russisch? Schuld hieße vermutlich вина (vina) und Sühne искупление (iskuplenie). Auch hier gibt es natürlich Synonyme, aber nehmen wir einfach mal die beiden. Denn ganz gleich welche Variante man nimmt, auf Prestuplenije i nakasanije kommt man nicht.
Und nun?
Übersetzungen sind wie gesagt ein sehr komplexes Thema, es gibt eine ganze Übersetzungswissenschaft und sicher auch genug Debatten und Diskussionen rund um das Thema. Zentral für mich ist aber an dieser Stelle erst einmal die Frage: Ist die Übersetzung überhaupt so wichtig, dass man z.B. in der Rezension den Übersetzer nennen sollte? Ich denke, ja. An dem Beispiel habt ihr gesehen, wieviel eine Übersetzung bereits bei etwas so Harmlosem wie einem Titel aus 3 Wörten (davon 1 Konjunktion) ausmachen kann. Die Übersetzung, insbesondere die literarische, ist eine Kunst für sich. Nicht umsonst werden Übersetzungen gar mit Preisen honoriert, etwa dem Leipziger Buchpreis in der Kategorie „Übersetzung“. Da ich selbst eines Tages gern in der literarischen Übersetzung arbeiten würde, ist das Thema für mich natürlich sehr zentral. Doch ich denke auch für uns als Blogger und Leser ist es wichtig, sich der Bedeutung der Übersetzung bewusst zu sein.
Wie seht ihr das? Findet ihr Übersetzungen wichtig und relevant oder sind sie einfach nur ein Mittel zum Zweck? Fallen euch Übersetzungen ein, wo ein großer Unterschied zum Original besteht?
Lesenswert
Während meiner Recherche für diesen Beitrag bin ich auch auf einige interessante Texte und Beiträge gestoßen, die ich gerne verlinken möchte:
Hallo Lisa,
ich kann absolut nachempfinden, was du geschrieben hast.
Ich überlege auch oft, ob ich denn wirklich den Schreibstil eines Buches bewerten soll, welches im Original nicht auf Deutsch erschienen ist? Denn ich bin mir sicher, dass jede:r Übersetzer:in einen ganz eigenen Schreibstil entwickelt hat. Ich würde doch bei einer deutschen Übersetzung dann den Stil der Übersetzer:innen bewerten.
Diesen Gedanken hatte ich schon so oft, aber ich wusste nicht, ob sich auch andere darüber den Kopf zerbrechen.
Da ich, wie du weißt, auch recht viele Bücher im englischen Original lese, merke ich, dass es bei den Texten einfach Unterschiede gibt. Natürlich haben die Übersetzungen immer Sinn und behalten auch den Kontext des Buches bei, aber es wird ein anderes Gefühl an die Leser:innen getragen. Denn jede Sprache bringt auch ein eigenes Gefühl mit sich. Was, meiner Meinung nach, viel mit dem Klangbild einer Sprache zusammenhängt.
Ist echt ein einfaches, wie aber auch komplexes Thema.
Liebe Grüße,
RoXXie
Huhu Roxxie,
ja du merkst das sicher noch mehr, als ich. Ich lese ja doch eher selten im Original. Aber da, wo ich es getan habe, habe ich durchaus große Unterschiede gefunden. Und das waren jedes Mal keine „Fehler“ oder „schlechte Übersetzungen“, es ist nur denke ich oft einfach gar nicht möglich, einen Roman nicht zu verfälschen beim Übersetzen. Ich seh das halt oft beim Russischen. Da gibt es sehr nuancierte Worte, für die wir im Deutschen schlicht keine Entsprechung kennen. Im Russischen gibt es zB verschiedene Verben für „anfangen zu brennen“, „lichterloh brennen“, „zu Ende brennen“, das Brennen des Lichtes usw. Wenn man nach „brennen“ im Wörterbuch sucht, kommen etwa 20 Übersetzungen :’D Und alle haben eine andere Nuancierung, geben etwas anderes wider, was wir im Deutschen nur mit Umschreibungen schaffen. Im Umkehrschluss bedeutet das natürlich, dass die Übersetzung viel umfangreicher werden muss, da ein Wort mit einer ganzen Fülle deutscher Wörter umschrieben werden muss.
Liebe Grüße
Lisa
Hi Lisa,
du hast in vielen Punkten recht und auch Roxxie hat es gut getroffen.
Wir sollten als BloggerInnen wirklich auch darauf achten, die Übersetzung einzubeziehen. Das habe ich bisher immer vernachlässigt. Warum? Es gibt keine gute Begründung dafür, außer nicht daran gedacht, zu bequem… Ich schreibe meine Rezensionen trotz Notizen oft herunter, so wie die Gedanken rasen.
Fachlich im Ausdruck, was die Übersetzung für mich schon ist, werde ich selten. Aber es ist echt mies von mir, wenn ich den Schreibstil einer englischen Autorin, nur als Beispiel lobe, aber das Lob doch an die Übersetzerin / den Übersetzer gehen müsste.
Ich werde nochmal in mich gehen müssen.
Liebe Tina,
ja ich verstehe dich da vollkommen. Ich habe mir da auch wirklich nie Gedanken gemacht. Manifestiert hat sich dieser Gedanke bei mir wirklich erst an dem Punkt, als wir im Unterricht die russische und deutsche Variante gleichzeitig gelesen haben und im deutschen von den Schafen die Rede war und im Russischen von Schäfchen weit und breit nix zu sehen. Das hat mich dann eben doch arg stutzig gemacht wieviel eine Übersetzung eigentlich ausmachen kann. Mittlerweile versuche ich darauf zu achten, zumindest insoweit, dass ich den Übersetzer in der Rezension nenne und darauf aufmerksam mache, dass eben exakt dieser Text, so wie er vor mir lag, nicht identisch dem Original war. Da machen es uns deutsche Autoren natürlich leichter mit der Rezension oder eben wenn wir im Original lesen 😀 Als Rezensenten können wir nicht die Unterschiede herausarbeiten, wie auch? Wenn ich die Originalsprache so gut könnte um das beurteilen zu können, würde ich ja auch gleich im Original lesen. Aber ich denke dass man zumindest dem Übersetzer einen gewissen Platz in der Rezi einräumen sollte, sei es auch nur bei der Namensnennung.
Liebe Grüße
Lisa
Hallo ihr beiden,
ich habe in meiner letzten Rezension zu Sterne und Schwerter zum ersten Mal daran gedacht, die Übersetzerin und ihre Arbeit zu würdigen und nicht nur in der Bibliographie zu benennen. Und soll ich euch was sagen, es hat richtig gut getan. 😉
Cheerio,
RoXXie
[…] Übersetzungen einen großen Teil unseres Leseerlebnisses ausmachen, sollte klar sein. (Ich habe hier auch schon einmal – es ist etwas länger her, man sollte den Beitrag sicher auch mal updaten! […]