Someone New
AUTOR Laura Kneidl
VERLAG LYX
ERSCHIENEN 28.01.2019
SEITEN 550
FORMAT Broschiert
PREIS 12,90 €
GENRE New Adult
REIHE –
ISBN 978-3736308299
Inhalt
Micah ist Tochter zweier Anwälte. Mit ihrer Kanzlei haben sie der Familie Wohlstand erarbeitet. Doch Geld ist eben nicht alles. Als Micahs Zwillingsbruder Adrian sich als homosexuell outet, bricht die vermeintlich glückliche Welt zusammen, denn die Eltern der beiden verstoßen ihren Sohn. Micah setzt alles daran, ihren Bruder zufinden und die Familie wieder zusammen zu führen. Deswegen entscheidet sie sich auch für ein Studium an der heimischen Universität – Jura, ein Fach, das sie ihren Eltern zuliebe studiert.
Als frischgebackene Studentin bezieht Micah nun also ihre eigene Wohnung, doch auch das ist nicht ganz unproblematisch. Denn der Zufall will es, dass ihr neuer Nachbar ausgerechnet jener Junge ist, für dessen Kündigung sie verantwortlich ist. Julian scheint ihr verziehen zu haben, dennoch ist er abweisend und bleibt auf Distanz. So verhält er sich jedoch auch gegenüber seinen sympathischen Mitbewohnern Cassie und Aurie. Was steckt hinter der vermeintlich Meter-dicken Mauer? Micah fühlt sich zu ihm hingezogen und setzt daher alles daran, die Distanz zu überbrücken und dem Geheimnis Julians auf den Grund zugehen.
Meinung
Ja, wo fange ich an? Meine Gedanken über „Someone New“ in Worte fassen und dann auch noch in eine halbwegs logische Reihenfolge zu bringen, ist irgendwie schwer. Dieses Buch hat mich sehr nachdenklich gestimmt, hat mich beschäftigt. Und dabei wollte ich es nicht einmal lesen.
Ich hatte schon vor Veröffentlichung sehr viel zu Someone New gesehen, halb Bookstagram war gefühlt voll davon. Dennoch wollte ich dem Hype nicht unbedingt folgen und „ignorierte“ das Buch mehr oder weniger. Ausschlaggebend, dass ich es nun doch gelesen habe, war dann aber eine Folge von
Booktunes. (Im übrigen eine absolute Podcast-Empfehlung! Die Mädels machen das richtig toll 🙂 )
Zunächst war ich aber nach dem Beginn des Lesens eher weniger angetan. Insbesondere zu Beginn des Buches, wo nach und nach alle Figuren vorgestellt wurden, hatte ich das Gefühl, dass Laura Kneidl eine kleine Kiste neben sich stehen hatte mit Zettelchen darin, wo aktuell diskutierte Problematiken draufstanden, und bei der Etablierung eines jeden neuen Charakters griff sie hinein. Versteht mich bitte nicht falsch, ich finde es unglaublich gut, wenn in Büchern die diversesten Menschen zu Wort kommen und mit Klischees aufgeräumt wird. Aber aufgrund der extremen Fülle kam es mir hier bei diesem Buch teilweise etwas erzwungen und too much vor. Versteht mich hier bitte nicht falsch: Problematik ist vermutlich ein eher unglücklicher Ausdruck da NICHTS davon problematisch ist oder sein sollte. Was ich viel eher meine ist, dass jeder Charakter eine Eigenschaft o.ä. aufweist, die von der Gesellschaft womöglich stigmatisiert wird. Falls ihr wissen wollt, was ich meine, schaut in den Spoiler. Aber wie der Name schon sagt, solltet ihr das Buch noch lesen wollen und/oder keine Spoiler wollen – lasst hier und im folgenden unbedingt alle Spoiler zu! 😀
[su_spoiler title=“SPOILER: Die Problematiken“ style=“fancy“ icon=“arrow-circle-1″]Micah: Vegetarierin
Julian: Trans
Adrian: Homosexuell
Lilly: Teeanger-Mama, Schule abgebrochen, übergewichtig bzw. unzufrieden mit dem Gewicht
Aliza: Influencerin und Bloggerin
Aurie: Fantasy-liebender, aber darüber beschämter Sportler
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Ich denke, es wäre nicht so schlimm gewesen, wenn man nicht gleich zu Beginn davon „erschlagen“ worden wäre. Aber ich habe mich durchaus ein bisschen überfordert gefühlt als Leserin, da es wie gesagt too much war. Wäre ich kein so extremer „Ich muss das unbedingt zu Ende lesen“-Leser; womöglich hätte ich deswegen agebrochen.
Zum Glück habe ich das NICHT getan! Denn nachdem alle Personen erfolgreich vorgestellt wurden, begann meine Begeisterung für das Buch. (Witzigerweise kann man das auch anhand meiner Lese-App gut sehen. Bis zu einem gewissen Punkt ist die Lesezeitkurve flach, da ich nur schleppend voran kam, ab einem gewissen Punkt ging dieser Graph aber steil bergauf.)
Die Geschichte von Micah und Julian entwickelt sich sehr interessant, die Charaktere sind liebenswürdig, ohne aber an Ecken und Kanten einzubüßen. So geht mir Micah tatsächlich mit ihrer Art ein bisschen auf die Nerven. Aber ich denke das kann man auch über nahezu alle realen Personen sagen und ich wage wirklich zu bezweifeln, dass es auch nur einen Menschen ohne eine Eigenschaft gibt, die bei anderen trotz aller Liebe eine große Genervtheit hervorrufen kann 😀
Laura Kneidls Erzählstil ist unglaublich toll. Ich habe mich, was das angeht, sofort mit dem Buch anfreunden können und werde definitiv auch weitere Bücher der Autorin lesen!
Aber nun kommen wir zum großen Geheimnis, da ich dieses unbedingt diskutieren möchte und viele von euch mit Sicherheit das Buch auch schon gelesen haben. Natürlich wird auch dieser recht große Spoiler in ein entsprechendes Feld gesetzt, sodass ihr nicht unfreiwillig erfahrt, was passieren wird.
[su_spoiler title=“SPOILER: Das Geheimnis und das Ende des Buches“ style=“fancy“ icon=“arrow-circle-1″]In der Regel stört es mich nicht, mich bei Büchern zu spoilern. Da ich nicht die Katze im Sack kaufen wollte und es wie gesagt für mich recht normal ist, das Ende zuerst zu lesen ohne mich dann zu ärgern, tat ich es auch hier. Ich hatte ja schon nach dem Podcast vermutet, dass es um eine Form von LGBTQ handelt. Und damit lag ich richtig. Was mich jedoch ärgert ist, dass ich rückblickend sehr gern erfahren hätte, ob ich es hätte „herauslesen“ können ohne Spoiler oder ob ich tatsächlich bis zur Auflösung unwissend geblieben werde – ich glaube wirklich, dass ich das Geheimnis NICHT allein herausgefunden hätte.
Daran merkt man mit Sicherheit schon, dass ich sehr unbedarft bin, was das Thema betrifft. Allgemein habe ich mich noch nie wirklich mit LGBTQ beschäftigt und bis auf zwei homosexuelle Männer hatte ich auch noch nie (wissentlich) Kontakt zu Menschen, die sich diesem Spektrum in irgendeiner Form zuordnen. Daher habe ich auch auf gut Deutsch gesagt absolut wenig Ahnung und habe mich bis jetzt auch wenig damit beschäftigt, was es z.B. auch für „Betroffene“ bedeutet, sich outen zu müssen, sie selbst sein zu wollen und nicht zu können.
So sieht sich auch der transsexuelle Julian mit Problemen (oder besser Unfassbarkeiten) konfrontiert. Seine Ex-Freundin hat ihn verlassen und intrigiert sogar bei Micah, seine ehemaligen Freunde haben ihn ausgegrenzt, sein ehem. Vermieter hat ihn rausgeschmissen. Doch noch schlimmer: Seine Eltern sind der festen Überzeugung, kein Kind zu haben. Ihre Tochter haben sie verloren. Und die Öffentlichkeit glaubt an einen tragischen Unfall, da niemand von der „Schande“ (so seine Eltern) wissen soll. Selbst als Julians Vater im Krankenhaus liegt und kurz darauf stirbt, ja sogar bei der Beerdigung reagiert seine Mutter voller Hass und Abscheu – ein Moment, wo ich am liebsten ins Buch gegriffen und der Guten so eine gescheuert hätte, dass es scheppert im Oberstübchen.
Zum einen verstehe ich, dass Micah sich irgendwo „angelogen“ fühlte oder hintergangen oder wie auch immer. Wenn ich mit einem Partner eine Beziehung anfange, würde ich es auch wissen wollen. Nicht, weil es meine Meinung dieser Person verändern würde. Sondern allein, um z.B. so grundlegende Fragen wie die Kinderfrage zu klären. Das mag komisch klingen, aber als Mädchen, das definitiv Kinder möchte, sollte dieses Thema nicht erst nach einem Jahr o.ä. angesprochen werden. Für mich wäre es dann auch kein Trennungsgrund, schließlich gibt es andere Möglichkeiten, ein gemeinsames Kind zu bekommen. Aber wie gesagt, sowas sollte schon innerhalb des ersten Jahres allerspätestens geklärt sein, da man sonst nur die Lebenszeit des jeweils anderen stiehlt.
Dennoch ist es Julians gutes Recht gewesen, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen und ich möchte mir gar nicht vorstellen, WIE schwer es ihm gefallen sein muss nach all der (gut Deutsch) Scheiße, die er erlebt hat. Ich finde es auch nicht okay, wie Micah ihn stets drängte, über Sophia zu sprechen. Als „Betroffener“ ist es Julian, der entscheidet ob und wann er über sein Geheimnis spricht. Und es liegt nicht an ihr, bei einem Thema zu bohren, dass er offensichtlicher nicht hätte umschiffen können. Also an sich eine Situation, wo ich wirklich beide Parteien verstehe.
Nun noch ein bisschen zum Allgemeineren: Ich finde es einfach großartig, wie es Kneidl gelingt, das Thema anzusprechen. Und im Gegensatz zu bestimmt einigen Lesern, bin ich auch nicht der Meinung, dass eine solche Geschichte allein von Own Voices erzählt werden darf. Wäre dem so, gäbe es bald gar keine Geschichten mehr mit bestimmten Protagonisten – denn wo will man die Grenze ziehen? Geschichten über Transsexualität nur von Transsexuellen? Geschichten über Krebspatienten nur von eben jenen? Vielleicht ein männlicher Protagonist einer weiblichen Autorin?
Wichtig hingegen ist, dass ein solcher Roman (und auch andere Romane) von Own Voice Personen gegengelesen werden und am besten von mehreren. Und dass dies geschah, sieht man ja anhand des Nachwortes – welches im Übrigen auch wundervoll war!
Kneidl gelang es, mich für ein Thema zu interessieren, dass mich so kaum tangiert hätte. Ich habe mich bei vielen Dingen kundig gemacht, habe mir z.B. viele Infos über Hilfsgruppen, die OPs und und und beschafft. Ich habe vermutlich genau so viel Zeit für das Lesen von z.B. „betroffenen“ Bloggern genommen, wie für das Buch selbst. Ohne dieses Buch und ohne die große Sympathie, die ich für Julian empfinde, hätte ich das nicht getan – denn bis hierhin war ja Trans für mich nur ein Begriff, den man aus dem Internet oder dem Fernsehen kannte. Ich kannte z.B. bereits Laverne Cox, eine fabelhafte Schauspielerin, und bin auch immer wieder verblüfft was für eine schöne Frau sie ist. Aber tiefgehender mit der Problematik beschäftigt, habe ich mich ihretwegen nie. Bei Julian ist es anders. Auch wenn es sich nur um einen fiktionalen Mann handelt, habe ich viele Stunden „an seiner Seite“ verbracht und so eine gewisse Beziehung zu ihm aufgebaut. Er und somit Laura Kneidl haben es fertig gebracht, dass ich über meinen kleinen Tellerrand geschaut habe. Und dafür danke ich der Autorin von ganzem Herzen.
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Fazit
Es fällt mir fast schwer, „nur“ vier Sterne zu geben. Einfach weil ich die Leistung des Buches, Lesern mehr Sensibilität und Offenheit zu lehren, so sehr zu schätzen weiß und finde, dass damit ein wirklich wichtiges Merkmal eines guten Buches erfüllt ist: Den Leser zum Nachdenken zu bringen. Da ich aber leider die anfängliche Kritik und Schwierigkeit, in das Buch hinein zu kommen, nicht komplett unter den Tisch fallen lassen kann, belasse ich es bei 4 Sternchen. Ich empfehle dieses Buch auf jeden Fall jedem und wenn euch das Lesen der ersten Seiten schwer fällt, so kann ich euch versprechen, es lohnt sich! Der Anfang kann zäh sein, aber das Buch ist es wert, sich durch diese paar Seiten durchzukämpfen.
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