Liest man Bulgakows „Das hündische Herz“ (auch: Hundeherz) im russischen Original, so lernt man bereits zu Beginn einen Straßenköter namens Scharik kennen. Später in einen Mensch verwandelt, wird aus Scharik der grobe Scharikow. Für die deutschen Leser, die das Russische kaum oder gar nicht kennen, mag das ein Name wie jeder andere sein. Wörtlich übersetzt bedeutet „шарик“ an sich ja nur „Kügelchen“ oder „Bällchen“. Jedoch: In Russland weiß man, dass man einen Straßenhund Scharik nennt. So wie man hier eine Katze, deren Namen man nicht kennt, Miez rufen würde. Oder einen Hund Bello. Und so entschied man sich in der früheren Version der Übersetzung auch, den Protagonisten Bello zu nennen. Nitzberg wiederum entschied sich in der Neuübersetzung für den Namen Lumpi.
Lange Rede, kurzer Sinn: Namen sind in literarischen Werken oft mehr als nur Namen. Sie können klingend sein oder eine besondere Bedeutung haben. Das macht sie wiederum schwierig zu übersetzen.
Mehr als nur Namen
Schon in den 1970er Jahren begann man sich wissenschaftlich mit den Namen in vor allem literarischen Werken zu beschäftigen. Gegen Ende der 1990er Jahre nahm man zunehmend die Perspektive der Autoren ein. Es gab Studien, die Schriftsteller explizit nach deren Vorgehen bei der Namenswahl von Figuren befragten (vgl. Krüger 2004).
Jetzt könnte man sich natürlich fragen, warum Namen in der Literaturwissenschaft oder in der Übersetzungswissenschaft überhaupt eine bedeutende Rolle beigemessen wird. Namen sind Namen. Der eine hat eben gefallen, der andere weniger. Also entschied sich der Autor für ersteren. Aber so einfach ist es manchmal nicht.
Wenn es um die sogenannten „klingenden“ Namen geht, verweise ich in meinem Übersetzungskurs immer wieder gern auf Schuld und Sühne. Der Protagonist aus Fjodor Michailowitsch Dostojewskis wohl mitunter bekanntestem Werk heißt „Rodion Romanovich Raskolnikow“. Für den deutschen Leser ein x-beliebiger, russisch klingender Name. Man kann ihn jedoch aufdröseln und findet darin eine wahre Fülle an Bedeutungen:
Rodion ist ethymologisch mit den Worten „Erz“, „Rose“ oder „Rot“ in Verbindung zu bringen und – geht man über das Altslawische – auch mit „Blut“. Romanovich geht wiederum auf Roman zurück und kommt aus dem Griechischen, wo das Wort für „Stärke“ steht. Schlussendlich Raskolnikov. Der Name ist an das russische Wort für „spalten“ angelehnt.
Wer ist nun also Rodion Romanovich Raskolnikow? Er ist ein Mann, der eine Bluttat begeht, um die Stärke in sich selbst zu erfahren. Er begeht hierfür einen Mord. Seine Tat? Er spaltet einer alten Frau den Kopf mit der Axt. Und auch in sich selbst, in seiner Persönlichkeit, ist er gespalten. Den Namen seines Protagonisten hat Dostojewski also sehr penibel durchkomponiert und, ein bisschen überspitzt gesagt, spiegeln sich bereits in diesem dreiteiligen Namen bereits Motiv und Tat.
Die Eigennamen in der Übersetzung
Namen sind, vor diesem Hintergrund etwas Besonderes in der Übersetzung. Lässt man den Scharik nun als Scharik? Oder schreibt man lieber Bello? Bleibt es bei Raskolnikov oder wollen wir dem deutschen Leser lieber einen Protagonisten namens „Kliebenschädel“ (bedeutet soviel wie „spalt den Schädel“) nennen, um die Doppeldeutigkeit auch in der Zielsprache beizubehalten?
Ein wirklich sehr berühmtes weiteres Beispiel für die Problematik mit dem Namen ist Lord Voldemort. Eine Figur, über die vermutlich jeder Leser schon einmal zumindest gestolpert ist. Warum aber ist Voldemorts „bürgerlicher“ Name in den verschiedenen Übersetzungen so unterschiedlich?
Im Deutschen etwa heißt er Tom Vorlost Riddle. Englisch Tom Marvolo Riddle. Und im Tschechischen heißt er Tom Rojvol Raddle. Und im Niederländischen haben wir sogar Marten Asmodom Vilijn, sowie im Norwegischen Tom Dredolo Venster. Wie kann ein und dieselbe Person in den verschiedensten Übersetzungen so unterschiedlich heißen? Des Rätsels Lösung (haha) ist, wie viele sicher schon wissen, dass es sich bei dem Namen um ein Rätsel handelt. Besser gesagt: ein Anagramm.
Im Englischen etwa kann man Tom Marvolo Riddle zu „I am Lord Voldemort“ umstellen. Aus Tom Rojvol Raddle wird „Já, lord Voldemort“ (=Ich, Lord Voldemort). Marten Asmodom Vilijn ergibt nicht nur „Mijn naam is Voldemort“, sondern hat auch noch eine weitere Finesse: Vilijn wird wie vilein ausgesprochen, also „übel“. Und aus Tom Dredolo Venster wird „Voldemort den store“, d.h. „Voldemort, der Große“.
Bei der Übersetzung dieses Namens kam es den Übersetzern daher nicht darauf an, 1 zu 1 den Wortlaut zu übernehmen. Es ging vielmehr darum, den Namen so zu übersetzen, dass die Grundidee des Anagramms auch in der Übersetzung funktioniert.
Ein weiteres, interessantes Beispiel ist der Name von Harrys Mutter: Lily. Während alle Übersetzungen Lily beibehalten, findet man im Tschechischen beispielsweise als Nachname Potterova. Das liegt daran, dass in slawischen Sprachen Namen oft eine Art „Geschlechtsmarker“ erhalten; -ova ist hier also die weibliche Endung eines Nachnamens.
Und Luna Lovegood beispielsweise wurde im Tschechischen zu Lenka Laskoradova. Lenka ist hierbei ein ganz normaler Mädchenname und hat mit Luna wenig gemein.
Fazit
Übersetzen ist eine Kunst. Es geht nicht nur darum, ein Wort aus einer Sprache in eine andere zu transportieren. Es geht darum, auch all das „Beiklingende“ zu übersetzen. Ein Wort kann z.B. einen abwertenden Beigeschmack haben oder aber besonders positive Assoziationen hervorrufen. Am deutlichsten werden die verschiedenen Bedeutungsebenen von Wörtern in der Übersetzung, wenn wir es mit Namen zu tun haben. Die hier genannten Namen sind nur einige, berühmte Beispiele. Doch es gibt noch so viele mehr, die eben mehr sind als „nur“ Namen. Ob ein Übersetzer sich für die 1-zu-1-Übertragung eines Namens entscheidet oder aber eine entsprechende Anpassung vornimmt, ist letztlich jedem Übersetzer selbst überlassen. Das liegt im Rahmen der künstlerischen Freiheit. Wie am Bulgakow-Beispiel gezeigt, machen es die verschiedenen Übersetzer nicht selten unterschiedlich und trotzdem nicht weniger richtig. Die Übersetzung von Namen erfordert, vor allem wenn es sich um so klingende Namen handelt, ein hohes Maß an eigener Kreativität des Übersetzers. Solltet ihr also das nächste Mal eine Übersetzung lesen und euch wundern, warum ein Name so ganz anders ist als im Original, könnt ihr auf Bedeutungssuche gehen und mit Sicherheit werdet ihr einen Grund finden, warum ein Übersetzer sich hier so entschieden hat!
Auch interessant
Literatur
Krüger, Dietlind (2004): Eigennamen in der literarischen Übersetzung, dargestellt am Beispiel von Übersetzungen von J.K.Rowlings „Harry Potter“, in: Namenkundliche Informationen, S. 141–163.