Mörder
VERLAG Mosaik
SEITEN 256
FORMAT Gebundenes Buch
PREIS 18,00 €
Inhalt
Meinung
Strafverteidiger und „schlechtes Gewissen“? Das setzte ja voraus, dass die tatsächlich über ein Gewissen verfügten! Die Strafverteidiger als gewissenlose Handlanger des Abschaums der Gesellschaft, denen die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse, zwischen Richtig und Falsch, zwischen Gerecht und Ungerecht zu unterscheiden, gänzlich abhandengekommen ist.
Andy hat als Kind bereits erlebt, was viele Menschen – zum Glück – niemals in ihrem Leben erleben müssen: häusliche Gewalt, keine Zuneigung, den Tod eines Elternteiles, den Verlust der Geschwister. Er gilt schnell als verhaltensauffällig, wird straffällig. Erst kleinere Delikte, dann größere und irgendwann landet er eben bei Veikko Bartel, der das Mandat eigentlich beenden möchte. Doch dann wird der Anwalt stutzig. Warum? Weil Andy nicht nur ein Straftäter mit äußerst obszönem und vulgären Vokabular ist. Er verwendet auch Wörter, die bei einem, der nur eine sehr geringe Bildung aufweist, auffallen müssen, wenn man genauer hinhört.
Bald schon lernt der Leser Andys Geschichte kennen und somit auch einige Facetten von ihm, der am Anfang so unfassbar unsympathisch erscheint. Der Junge ist keineswegs dumm. Nein. Er ist nur in die denkbar schlimmsten Umstände hinein geboren und wurde ein ums andere Mal fallen gelassen und sich selbst überlassen.
Nein, natürlich rechtfertigt das weder Straftaten, noch gar einen Totschlag oder Mord. Aber man lernt, zu verstehen. Zu verstehen, wie genau das kommen konnte und man beginnt zu überlegen, was aus Andy hätte werden können, wenn er in ein liebendes und umsichtiges Elternhaus geboren worden wäre, Chancen hätte wahrnehmen können.
Und genau das ist , was Bartels Bücher für mich so unfassbar spannend und lesenswert macht: er skizziert die Geschichte seiner Mandanten und stellt immer wieder heraus, dass Verteidiger diesen Menschen sehen: ein Individuum, mit Geschichte und einem Recht auf eine faire Behandlung! Kein Verteidiger möchte einen Mörder ungestraft umher laufen lassen. Ein Verteidiger kämpft lediglich für die Rechte eines Menschen, für den sonst keiner oder nur noch wenige kämpfen. Ein Mensch, der sich mit einer nahezu undurchdringlichen und übermächtigen Gewalt konfrontiert sieht: Dem Gericht.
Indem Bartel so das Verständnis seiner Leser schärft und dank seines ungemein ansprechenden Stils die Leute auch anspricht, schafft er – wie ich finde – etwas ganz Besonderes und besonders Wichtiges: Er schafft sowohl ein Bewusstsein darüber, wie der Beruf des Verteidigers verstanden werden muss. Und zum anderen schafft er ein Bewusstsein darüber, dass kein Mensch per se böse ist. Ein Mensch wird sozialisiert, er erlebt, er überlebt, er überwindet oder er zerbricht. Es bleibt die nüchterne, wie erschreckende Erkenntnis: Jeder von uns kann zum Mörder werden.