Mörder
AUTORIN Veikko Bartel
VERLAG Mosaik
ERSCHIENEN 04.03.2019
SEITEN 256
FORMAT Gebundenes Buch
PREIS 18,00 €
GENRE True Crime, Kriminalität
REIHE –
Inhalt
Veikko Bartel hat in etwa 40 Tötungsfällen vor Gericht verteidigt und in Mörderinnen hat er bereits gezeigt, wie und warum Frauen zu Mörderinnen werden. Nun wendet sich Bartel den männlichen Tätern zu. Erzählt werden sechs Fälle; der Mann, der aus Liebe und Eifersucht tötet, der Mann, der sein gut bürgerliches Leben einstürzen sehen muss und nicht zuletzt das verkannte Genie, das auf Abwege kommt.
Meinung
Nachdem ich „Mörderinnen“ gelesen hatte, konnte ich das Erscheinen von „Mörder“ ehrlich gesagt kaum bis gar nicht erwarten. Ich kann euch daher gar nicht beschreiben, WIE ich mich gefreut habe, als das Buch endlich raus kam und dann auch schon püntklich bei mir zuhause auf dem Tisch landete. Ich habe sofort begonnen zu lesen und mir bewusst nach jedem Fall eine „Pause“ anbefohlen. Ich wollte nachdenken. Über den Fall. Über den Beruf des Strafverteidigers.
Strafverteidiger und „schlechtes Gewissen“? Das setzte ja voraus, dass die tatsächlich über ein Gewissen verfügten! Die Strafverteidiger als gewissenlose Handlanger des Abschaums der Gesellschaft, denen die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse, zwischen Richtig und Falsch, zwischen Gerecht und Ungerecht zu unterscheiden, gänzlich abhandengekommen ist.
Seit ich „Mörderinnen“ gelesen habe, geht mein Interesse für Kriminalität und True Crime durch die Decke. Ich lese Bücher, ich höre Podcasts, ich schaue Dokumentationen. Aber auch wenn mich viele der Medien überzeugen konnten, bis jetzt konnte mich niemand so begeistern wie Bartel. In diesen Band nimmt der Jurist eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Fälle auf. Auf sie alle einzugehen, würde a) zu viel Platz wegnehmen und b) euch die Freude auf das Buch vermiesen. Daher möchte ich nur kurz auf einen Fall eingehen, der mich besonders berührt hat:
Andy hat als Kind bereits erlebt, was viele Menschen – zum Glück – niemals in ihrem Leben erleben müssen: häusliche Gewalt, keine Zuneigung, den Tod eines Elternteiles, den Verlust der Geschwister. Er gilt schnell als verhaltensauffällig, wird straffällig. Erst kleinere Delikte, dann größere und irgendwann landet er eben bei Veikko Bartel, der das Mandat eigentlich beenden möchte. Doch dann wird der Anwalt stutzig. Warum? Weil Andy nicht nur ein Straftäter mit äußerst obszönem und vulgären Vokabular ist. Er verwendet auch Wörter, die bei einem, der nur eine sehr geringe Bildung aufweist, auffallen müssen, wenn man genauer hinhört.
Bald schon lernt der Leser Andys Geschichte kennen und somit auch einige Facetten von ihm, der am Anfang so unfassbar unsympathisch erscheint. Der Junge ist keineswegs dumm. Nein. Er ist nur in die denkbar schlimmsten Umstände hinein geboren und wurde ein ums andere Mal fallen gelassen und sich selbst überlassen.
Nein, natürlich rechtfertigt das weder Straftaten, noch gar einen Totschlag oder Mord. Aber man lernt, zu verstehen. Zu verstehen, wie genau das kommen konnte und man beginnt zu überlegen, was aus Andy hätte werden können, wenn er in ein liebendes und umsichtiges Elternhaus geboren worden wäre, Chancen hätte wahrnehmen können.
Und genau das ist , was Bartels Bücher für mich so unfassbar spannend und lesenswert macht: er skizziert die Geschichte seiner Mandanten und stellt immer wieder heraus, dass Verteidiger diesen Menschen sehen: ein Individuum, mit Geschichte und einem Recht auf eine faire Behandlung! Kein Verteidiger möchte einen Mörder ungestraft umher laufen lassen. Ein Verteidiger kämpft lediglich für die Rechte eines Menschen, für den sonst keiner oder nur noch wenige kämpfen. Ein Mensch, der sich mit einer nahezu undurchdringlichen und übermächtigen Gewalt konfrontiert sieht: Dem Gericht.
Indem Bartel so das Verständnis seiner Leser schärft und dank seines ungemein ansprechenden Stils die Leute auch anspricht, schafft er – wie ich finde – etwas ganz Besonderes und besonders Wichtiges: Er schafft sowohl ein Bewusstsein darüber, wie der Beruf des Verteidigers verstanden werden muss. Und zum anderen schafft er ein Bewusstsein darüber, dass kein Mensch per se böse ist. Ein Mensch wird sozialisiert, er erlebt, er überlebt, er überwindet oder er zerbricht. Es bleibt die nüchterne, wie erschreckende Erkenntnis: Jeder von uns kann zum Mörder werden.